Es war reiner Zufall, dass wir 1999 in den Besitz eines Wachtels gekommen sind.
In unserer jagdlich aktiven Verwandtschaft sollte ein Wachtel abgegeben werden, der aufgrund von Schussangst jagduntauglich war und auch noch diverse andere „Baustellen“ hatte. Obwohl bei uns nun nicht unmittelbarer Bedarf an einem weiteren Hund bestand (wir hatten bereits drei große Hunde) und mir dieser lockige Wicht eigentlich zu klein war (heute schäme ich mich dafür!), kam Dasso zu uns nach dem Motto – wo drei satt werden…
Außerdem reizte es mich zu beweisen, dass dieser Hund doch keinen Knall hat (Originalton Vorbesitzer).
Eigentlich hat uns Dasso die Entscheidung abgenommen bzw. zumindest beschleunigt. Wir wollten ihm den Übergang erleichtern und nahmen ihn zunächst immer nur zum Abendspaziergang mit und anschließend mit zu uns nach Hause, damit er unser Familienleben kennen lernen konnte. Sein Noch-Besitzer holte ihn dann abends ab, wenn er vom Pirschgang nach Hause ging. Nach einigen Tagen klingelte es wie üblich zum Abhol-Zeitpunkt. Mein Mann übernahm es, den Hund an´s Gartentor zu bringen zur Übergabe. Kurz darauf erschien Mann samt Hund wieder im Wohnzimmer.
Nanu – musste der vierbeinige Gast noch ein Weilchen da bleiben? Lachend erzählte mein Mann, dass Dasso sich entschieden geweigert hatte, in das Auto des Noch-Besitzers einzusteigen. Nun denn – flugs wurde ein weiterer Hundekorb vom Speicher geholt und der Neue verbrachte die Nacht bei uns, als ob es das Selbstverständlichste der Welt wäre.
Aber da kam wirklich etwas auf uns zu! Mit fliegenden Ohren und ohne einen Blick zurück wechselte Dasso in unseren Haushalt. An einen neuen Namen, neue Rudelgenossen, Katzen und freilaufende Enten hatte er sich schnell gewöhnt. Schon eher waren unsere Kaninchen, die sich in einem abgetrennten Teil des Gartens ihrer Freiheit erfreuen, ein Problem für ihn. Die Abtrennung in Form eines ca. 1 m. hohen Gitters war von unseren Hunden immer als eine (wohl eher symbolische) Grenze respektiert worden. Grob fahrlässig war ich der Meinung, sie würde auch unseren Neuen daran hindern, den Kaninchen einen Besuch abzustatten – weit gefehlt!
Während meiner Anwesenheit war es gar kein Thema, aber als ich das erste Mal außer Haus war, ging der Zirkus los. Freudig und absolut vorschriftsmäßig apportierte Dasso mir meinen mausetoten Lieblingshasen als ich nach Hause kam. Mir blieb fast das Herz stehen.
Das war erst der Anfang und objektiv betrachtet ja auch wirklich nur meine Schuld. So viel Naivität gehört schließlich bestraft.
Überhaupt – war ich zu Hause, ging es Dasso gut; war ich weg, befiel ihn die reine Panik. Sperrte man ihn im Haus ein (zum Schutze der Hasen), fand man bei der Rückkehr z. B. sämtliche Möbelgriffe mit tief eingegrabenen altgermanischen Runen verziert vor. Die Türklinken wiesen plötzlich Stacheln auf und sämtliche erreichbaren Kleidungsstücke waren zerfetzt. Auch hielt er sich während meiner Abwesenheit bevorzugt auf der Arbeitsplatte in der Küche auf, wo er dann alles fraß, was ihm fressbar erschien. Meist in optisch recht Erfolg versprechender Reihenfolge – erst die Butter, dann ab mit dem Kopf in den Mehlbehälter.
Der Effekt war grandios – diese Maske ging kaum mehr ab. Es gibt Situationen, da muss man lachen, obwohl einem eigentlich eher zum Heulen zumute ist. Dies war so eine.
Unsere anderen Hunde fanden es toll. Kam ich nach Hause, empfingen sie mich schon ganz begeistert, auf ihre Art erzählten sie mir sofort: Fraule, komm schnell, der Neue, der macht super Stimmung – hier geht der Punk ab!
Autos jagen, Kinderwagen anbellen (hatte er in seinen ersten 1,5 Lebensjahren wohl nie gesehen…) waren noch eher harmlose Macken.
Sein Meisterstück lieferte Dasso (25 kg Lebendgewicht), indem er sich durch die Katzenklappe (handelsübliche Größe) vom Flur aus in den Keller zwängte. Von dort aus versuchte er, sich ebenfalls durch die Katzenklappe in den Garten durchzuarbeiten. Dies misslang, da sich des Wachtels Umfang inzwischen nicht unerheblich vergrößert hatte, weil er zwischen Katzenklappe I und II noch das im Keller deponierte Katzenfutter gefressen hatte. Immerhin gelang es ihm, den Kopf durch die Öffnung zu stecken und einen draußen an der Hauswand gelagerten Müllsack zu packen, der auf die Abholung durch die Kleidersammlung wartete.
Darin befand sich ein altes Federbett. Einen Zipfel desselben zerrte er nun durch die Katzenklappe in den Keller hinein. Diesen rohen Kräften hielt das Inlett natürlich nicht stand und so ergoss sich eine Wolke von Daunenfedern in unseren Keller. Man braucht nicht Hund zu sein um sich vorstellen zu können, dass dies ein Heidenspaß gewesen sein muss. Meine Begeisterung über diesen Zeitvertreib hielt sich beim Heimkommen allerdings sehr in Grenzen, obwohl ich von Natur aus ein durchaus humorvoller Mensch bin. Beim Öffnen der Kellertüre kam es etwa zum gleichen Effekt, wie man ihn beim Schütteln einer Schneekugel erreicht…die Älteren unter euch werden noch wissen, was eine Schneekugel ist…
Wenig lustig fand derlei Eskapaden mein Mann, der für die Instandsetzung der materiellen Schäden zuständig ist – man beachte das Größenverhältnis Wachtelrüde zu Katzenklappe – die Tür war hin. Mich als sonnige Optimistin trieb auch diese Aktion noch nicht ganz zur Verzweiflung, im Gegensatz zum Hausherrn, der in dieser Beziehung – typisch Mann – nun doch etwas weniger belastbar ist.
Dann hatte ich eine (in meinen Augen jedenfalls) geniale Idee. Man beschäftigt sich ja seit Jahren mit der Hundepsyche im Allgemeinen und seit Kurzem im Besonderen. Eine Box musste her!
Was könnte es für eine unruhige Hundeseele schöneres geben, als geborgen in einem bereits vertrauten Käfig, in trauter Umgebung, inmitten der lieben Rudelgenossen gelassen Frauchens Heimkehr entgegenzudämmern. Noch ein Rinderhautknochen zur Beschäftigung und einen alten Pulli zum draufliegen – ich ging zum ersten Mal seit Wochen unbefangen aus dem Haus.
Voll freudiger Erwartung kam ich nach Hause – dort traf mich fast der Schlag. Anstatt des erwarteten Idylls fand ich einen hyperventilierenden Hund vor, der mit seinem aufgequollenen Gesicht eher einem Shar-Pei als einem Wachtel ähnlich sah. Dasso hatte es fertig gebracht, eine Stange des überaus stabilen Käfigs aufzubiegen und versucht, sich dort hinauszuzwängen. In der Wanne stand der Speichel, mein Pulli war zerrissen in tausend Fetzen, der Kauknochen nicht angerührt. Ich war zutiefst beschämt.
Verzweifelte Ratlosigkeit machte sich breit, ich war mit meinem Latein am Ende.
Da fiel mir ein, gelesen zu haben, dass in Amerika Erfolge erzielt worden waren mit angsthemmenden Medikamenten. In Zusammenarbeit mit einem befreundeten Tierarzt wurde ein solches Medikament angewendet und gleichzeitig begann ich mit Dassos Ausbildung zum Rettungshund. Diese Kombination von Arbeitstherapie und Medikation erwies sich als Volltreffer.
Er brachte es fertig, 3 Stunden meine Abwesenheit auszuhalten, nach 6 Wochen konnte das Medikament abgesetzt werden. Anfangs war er nach meiner Heimkehr vollkommen erschöpft, ein Zeichen dafür, dass der Stress in abgeschwächter Form immer noch vorhanden war. Mit der Zeit jedoch fand er seine seelische Ausgeglichenheit und döste meiner Rückkehr entgegen.
Ab 2000 war unser Wachtel nach nur 10 Monaten Ausbildung geprüfter Flächensuchhund im DRK. Als geborener Apportierer arbeitete er im Bringselverfahren. Dieser Hund war die ideale Mischung aus Kooperationsbereitschaft und Selbstständigkeit. Während der Suche, in unvorhergesehenen Situationen, in denen er auf sich allein gestellt war, dachte er regelrecht mit, obwohl wir als belesene Hundler natürlich wissen, dass Hunde nicht in menschlichem Sinne denken können, ABER…
Im Zuge der Rettungshundeausbildung musste er lernen, Wild zu ignorieren, doch solange man ihm nur die Möglichkeit bot, zu suchen und zu finden, war es ihm egal, dass es sich bei dem Objekt der „Jagd“ nicht um Wild, sondern um einen Menschen handelte. Die Rettungshundearbeit war seine Leidenschaft.
Konnten wir einmal eine Woche nicht am Training teilnehmen, befiel ihn wieder die Unruhe der Beschäftigungslosigkeit mit der Folge, dass die Schuhe sämtlicher Familienmitglieder im ganzen Haus verschleppt waren.
Im Winter haben wir dann erstmals auch an Lawinenhundeübungen teilgenommen. Meine Bedenken, er als Bringsler würde in Ermangelung eines Solchen nicht wissen, wie er seinen Fund unter der Schneedecke anzeigen soll, lösten sich in Luft auf. So schnell wie Dasso sich zu der Versteckperson durchgegraben hatte, konnte ich auf meinen Skiern das Schneefeld garnicht überqueren! Ich werde an mir arbeiten müssen…
Voll in die Hose ging dagegen der Versuch in der Trümmerarbeit. Ich wollte einfach ausprobieren, ob er in den Trümmern in´s Bellen kommt, da er auch bei der Flächensuche ein paar wenige Töne fabrizierte, bevor er das Bringsel aufnahm, wenn er an die Versteckperson nicht herankam. Voller Begeisterung erklomm Dasso in der schönen Schweiz das Trümmerfeld und ward nicht mehr gesehen. Gespannt warteten alle Anwesenden, was passieren würde. Nach einiger Zeit tauchte Dasso wieder auf und überreichte mir feierlich – eine PET-Flasche mit Eistee! Es stellte sich heraus, dass er sich unter Auferbietung aller Kräfte zur VP durchgearbeitet hatte und – da kein Bringsel vorhanden war – aus lauter Verzweiflung dessen Trinkflasche zweckentfremdet hat. Unter allgemeinem Gelächter aller Anwesenden haben wir also beschlossen – das mit den Trümmern, das lassen wir bleiben!
Er entwickelte sich zu einem tollen Gefährten, der – freundlich behandelt – zu steter Kooperation bereit war. Er wusste sich überall zu benehmen, man brauchte für ihn keine Leine. Er beherrschte sämtliche Anweisungen in verbaler Form, als Sichtzeichen und per Hundepfeife. In´s Hasengehege sprang er nur noch, um den Langohren eine Karotte zu stibitzen.
Dasso war unser erster Jagdhund, dem bis heute noch fünf weitere folgten. Er hatte mich mit dem Jagdhundevirus infiziert. Alle waren Second-Hand-Hunde, denn Wundertüten finde ich einfach interessant! Außerdem können die Hunde am wenigsten dafür, wenn es mit dem Menschen nicht klappt.
Ach übrigens, bevor ich´s vergesse: Schussscheu war er auch nicht mehr (wahrscheinlich war er es nie)!
Im August 2004 hat Dasso das erste Mal im Rettungshundeeinsatz eine vermisste Person gefunden, und das auf erstaunliche, unkonventionelle Weise.
Auf dem Weg in das uns zugeteilte Suchgebiet blieb der wie immer vor mir frei laufende Hund plötzlich wie angewurzelt stehen, schnüffelte intensiv den steilen bewaldeten Hang hinauf, schaute mich an wie wenn er sagen wollte: Fraule (es handelt sich um einen schwäbischen Wachtel!), wenn ich Dich wäre, würde ich mich da mal hinaufschicken! Fraule hat verstanden, dem Hund die Kenndecke angezogen, sein Bringsel angehängt und was war … 40 m oberhalb in diesem Hang befand sich die vermisste Person, leider bereits verstorben. Bemerkenswert und nicht unbedingt selbstverständlich war die Tatsache, dass dieser Hund – ohne „Arbeitskleidung“ und ohne den dazugehörigen Auftrag – es fertigbrachte, mir seinen Verdacht mitzuteilen. Ich war sehr stolz auf meinen Hund.
Am 1. November 2008 hat Dasso mit fast 11 Jahren seine 7. und letzte Rettungshundeprüfung bestanden. Den Stempel auf der Plakette 5/2010 nahmen wir als gutes Omen… dieses Datum musste er zumindest erleben! Wir haben den Altherren-Bonus voll ausgeschöpft und im Einsatz die angenehmen Suchgebiete für uns beansprucht – nun sollten sich die Jungen mit Brombeerhecken und Brennnesselfeldern herumplagen. Statt Schnelligkeit zählte jetzt Erfahrung…
Dassos letzter Rettungshunde-Einsatz war im Juni 2009. Er starb im Juni 2010 im Alter von 12,5 Jahren und ich vermisse ihn heute noch… den freundlichen, lustigen Kerl mit den langen Ohren, mit dem ich so viel erlebt habe.